Fallbeispiel 1
Vorlage zu diesem Fallbericht ist die Dokumentation von Carola Hantsch, die uns freundlicherweise genehmigte, diese auf unsere Homepage zu stellen.
Ärztliche Diagnose/Verordnung
HWS-Syndrom / 6 x Krankengymnastik / 1- 2mal pro Woche
Anamnese
Zweiundzwanzigjährige Patientin, berichtet sie habe seit 12 Wochen bei ihrem Hobby Sportklettern (2x/Woche) Schmerzen in der unteren HWS (VAS 3) und von dort ausgehend Ziehen nach unten bis zwischen die Schulterblätter, sowie „Klemmgefühl“ in der kompletten BWS.
Die Schmerzen entstehen v.a. beim langen nach oben schauen beim Sichern. Ebenfalls treten ~1x/Woche Kopfschmerzen (VAS4), ausstrahlend über Hinterkopf bis zur Schläfe auf. Sowohl BWS- als auch HWSschmerzen bekommt die Pat. auch während ihrer Arbeit als Physiotherapeutin und bei langem Sitzen.
Sonstige Befunde:
In der Kindheit wurde bei der Pat. eine Skoliose diagnostiziert, die mit KG behandelt wurde.
Selten hat Pat. Schmerzen (VAS2) in re und li Gesäß ohne Ausstrahlung -erstmals nach stundenlangem Kanufahren im Sommer 2012.
Beeinflussbarkeit der Schmerzen durch Eigenmobilisation der BWS mit Handtuchrolle sowie Training der vorderen Halsmm., der tiefen Bauchmm. und autochthonen Rückenmm.
Erster Verdacht (Hypothese):
Reversible hypomobile Funktionsstörungen in der BWS (evtl. mangelnder Facettenschluß auf der konvexen Seite der Skoliose), mangelnde Stabilität der mittleren HWS und der Kopfgelenke. Evtl. Bänderbeteiligung, da Probleme häufig erst nach längerer Zeit auftreten.
Inspektion - statisch
von vorne:
- in C1/C2 li SN, re ROT
- re SG höher li
- li Taillendreieck <re
- Bauchnabel leicht nach li verzogen
- re Beckenhochstand
- li Fuß abgeflachtes Längsgewölbe
von der Seite:
- +Gesichtsschädel
- protrahierter Schultergürtel
- --HWS Lordose
- ++BWS Kyphose
- ++LWS Lordose
- +Überstreckung Kg bds
von hinten:
- Schulterhochstand bds.
- Scapula alata li
- re Gesäßfalte tiefer
- minimale skoliotische Abweichung in Frontalebene Scheitelpunkt ca. HöheTh9
Inspektion – dynamisch
Pat soll die Bewegung beim Sichern imitieren, dabei ↑↑↑Ext. mittlere HWS, ↓↓↓ Ext CTÜ und mittlere BWS
Erhärtung des Verdachtes (Hypothese):
Überbeweglichkeit der -in Ruhe steilgestellten- HWS in Extension bei mangelnder Aufrichtungsfähigkeit des CTÜ sowie der mittleren BWS. Zudem keine ausreichende ventrale Anbindung von tiefen Bauchmm. als stabile Basis für freie BWS Beweglichkeit.
Aktive Funktionsuntersuchung
HWS:
- Flexion C3-7↓↓↓
- Extension O-C7↑↑↑
- Latflex obere HWS C2-C4↓↓↓ li<re
- Rotation
C1/2: re<li
obere HWS: re<li
mittlere HWS: re<li
untere HWS/CTÜ: re<li
BWS:
- Flexion Th3-Th7↓↓
TLÜ↓↓↓
- Extension Th7 -TLÜ ↓↓↓
- Lateralflexion li<r
- Rotation re<li
Palpation
HWS:
- re Facettenreihe verquollen, M trapezius pars descendens +++, 1. Rippe bds cranialisiert, li Querfortsatz Atlas weiter li und Querfortsatz re druckdolenter
BWS:
- RAZ Hauttemperatur erwärmt und Tonuserhöhung autochthone Rmm. Höhe TH3-TH12 bds., Kibler Hautfalte re mehr Schmerz und bleibende intensive Rötung re>li
Provokation
Springing: Th4-7 Schmerz li>re, Th 7-10 Schmerz re>li, Th11 und Th12 o. B.
Passive segmentale Untersuchung
Kopfgelenke:
- Latflex re und Rot li Beweglichkeit↓↓↓ und Joint play vermindert
HWS:
- Kombinierte Bewegung Ext, Latflex re, Rot re C4/C5/C6↓↓↓, Joint play vermindert und Schmerz VAS2,
Endgefühl fest
- Kombinierte Bewegung Ext, Latflex li, Rot li "Ziehen" auf re Seite, Endgefühl festelastisch
CTÜ:
- Th2 bewegt nicht mit in Ext, Joint play vermindert, Endgefühl fest
BWS:
- Kombinierte Bewegung Ext, Latflex re, Rot li TH7/TH8 Beweglichkeit↓↓↓ und Joint play vermindert,
Endgefühl fest
Muskeltests (Krafttests)
Ventrale Halsmm. (Tiefe und Oberflächliche) MFT3, Pat. schafft 10 sek
Funktionsbefund/Aktuelle Arbeitshypothese
- Hypomobile Funktionsstörung der Kopfgelenke
- HWS Konvergenzstörung C4/5 C5/6 re, Verkürzung Nackenmm. re
- BWS Konvergenzstörung Th7/8 re
Therapieziele
Therapieziel der Patientin:
- Klettern, Sichern und Arbeiten ohne Kopfschmerzen
Therapieziel der Therapeutin:
- Wiederherstellung der gestörten Beweglichkeit, anschliessend muskuläre Stabilisation
Befundbezogene Therapieplanung und -verlauf
1. Behandlungseinheit
- Detonisierung tiefe und oberflächliche Rückenstrecker in BL
- Unspezifische Weichteil- und Gelenkmobilisation in BL
- Klaffen Th7/8 SL li
- Mobilisation in Konvergenz Th7/8 im Sitz
- EÜ: Einstellung der max. Konvergenz der BWS im Tubersitz, dann schnelles Hacken mit den Händen (3x10 sek)
Die Pat. gibt an, dass sich der Rücken bei der Aufrichtung freier anfühlt und sie kein "Klemmgefühl" mehr hat.
2. Behandlungseinheit:
- Weichteiltechnik HWS erst zur Elastizitätsverbesserung der Muskulatur re, dann zur unspezifischen Gelenkmobilisation re in Ext Latflex re, Rot re in RL
- CTÜ Hypomochliontechnik Th1/2 in RL
- Testung Joint play erste Rippe bds. Re ↓, daher: Mobilisation nach ventral caudal in RL
- Mobilisation C4/5 und C5/6 in Ext, Sn re, Rot re im Sitz mit PIR
- EÜ: Pat. soll "Wasser aus dem Ohr schütten" re im Sitz
3. Behandlungseinheit:
Pat hat in den letzten Tagen keine Kopfschmerzen mehr und kann ihren Kopf freier bewegen, das Klemmgefühl in der BWS hat wieder ein wenig zugenommen.
- Die aktuellen Beschwerden können mit einer Mobilisation in Ext mit einem Mobilisationskeil auf Höhe Th7 beseitigt werden.
- Überprüfung der Eigenmobilisation der BWS mit einer Handtuchrolle, gute Durchführung.
- Untersuchung des ISG aufgrund der Anamnese- aktuell lagen aber keine lokalen Beschwerden vor. Re ISG steht anterior, Vorlauf im Sitz und Stand re positiv , Joint play (Hebetest)↓, re ILA und Sakrumbasis steht weiter hervor:
Maßnahmen:
- Sakrummobilisation um die re Schrägachse in Gegennutation in BL
- Iliummobilisation re nach posterior in SL li mit Agonistenhilfe
Re test:
- Kein Vorlauf mehr, Joint play im Seitenvergleich gleich
Weitere Verlaufsplanung:
Nach der Beseitigung der artikulären Störungen braucht die Patientin ein intensives EÜ Programm zur Stabilisierung der Inneren Einheit, Kräftigung der Schulterblattstabilisatoren und des M. Erector spinae im oberen Bereich, sowie der tiefen und oberflächlichen ventralen Halsmuskulatur. Außerdem könnte den Schmerzen beim Sichern durch eine Prismabrille vorgebeugt werden.