Fallbeispiel 3
Vorlage zu diesem Fallbericht ist die Dokumentation von Petra Massow, die uns freundlicherweise genehmigte, diese auf unsere Homepage zu stellen.
Ärztliche Diagnose/Verordnung
Zervikobrachialsyndrom mit rezidivierenden Blockaden | 6 x Krankengymnastik | 1-2 x Woche
Anamnese:
48 jährige Patientin berichtet, dass sie seit vier Tagen unter starken linksseitigen Schmerzen im Bereich der HWS und des Nackens leidet, die besonders bei Drehbewegungen des Kopfes und der HWS nach links auftreten. Die Patientin hatte in der letzten Woche eine Hecke geschnitten und ist am Wochenende mit offenem Autofenster gefahren. Sie vermutet, dass sie sich einen „Zug“ geholt hat und hält dies für den Auslöser ihrer Beschwerden. Die Schmerzen empfindet die Patientin als ziehend vom linken Nacken bis in den Kopf. Sie hat Druck im Kopf und das Gefühl, „sie hätte einen Helm auf“. Die Kopfdrehung nach links ist stark eingeschränkt und schmerzhaft, 7/10 auf der VAS. Der Schmerz verstärkt sich beim „nach unten gucken“, Besserung beim „geradeaus gucken“.
Die Patientin ist schwitzig (Vegetativum).
Die Patientin arbeitet als Rezeptionskraft, sie trägt eine Gleitsichtbrille und gibt an, dass sie öfter nach der Arbeit Beschwerden (leichtes Ziehen) im CTÜ/ BWS – Bereich hat. Um am PC zu arbeiten, muss sie den Kopf in Extension bringen.
Nebendiagnosen:
Nebenniereninsuffizienz, Zustand nach OP eines Hypophysen Adenom, Osteoporose
Medikamente:
Hydrocortison, Schmerzmedikament bei Bedarf (heute eingenommen)
Erster Verdacht (Hypothese):
Funktionsstörung untere HWS/CTÜ mit vegetativer Beteiligung
Inspektion statisch im Stand:
von dorsal:
rechter Schultergürtel erhöht, flache BWS, Kopf steht in SN links
leichte Aufquellung CTÜ links
von lateral:
Schultergürtel re und li in Protraktion, Kopf in Reklination, steilgestelllte HWS
von ventral:
Kopf steht in SN links, rechter Schultergürtel erhöht, Achse Kinn/Nase
dreht nach rechts, leichte Aufquellungen linkes SCG
Inspektion dynamisch im Stand:
Blick nach unten löst ziehende Schmerzen am CTÜ links aus, der Druck im Kopf verstärkt sich
Kombinierte Bewegung in Flex/SN li/Rot. li. = starke Schmerzen CTÜ links
Erhärtung des Verdachtes:
Einschränkung der Flexion und Linksrotation CTÜ/HWS
(Divergenzstörung rechts oder Konvergenzstörung links) mit vegetativer Beteiligung
Aktive Funktionsuntersuchung:
Rotation - Etagendiagnostik:
C2/3: Linksrotation eingeschränkt
mittlere HWS: Flexion, Linksseitneigung und Linksrotation eingeschränkt
CTÜ: Flexion, Linksseitneigung und Linksrotation stark eingeschränkt
Kombinierte Bewegung in Flex/SN li/Rot li ist stark eingeschränkt und löst den von der Patientin
beschriebenen Schmerz aus, Ext/SN re/Rot re nicht eingeschränkt und schmerzfrei.
Palpation
RAK Aufquellungen C5/6, C6/7, C7/Th 1 links, leicht erwärmt und schwitzig
Aufquellung C2/3 links
M. trapezius pars deszendens li. und paravertebrale Muskeln li stärker
als re schmerzhaft und hyperton
Weitere Untersuchung schmerzbedingt heute nicht möglich!
Therapieziel der Patientin:
Schmerzlinderung und Verbesserung der Beweglichkeit, schmerzfreie Kopfdrehung nach links
Therapieziel der Therapeutin aktuell:
Schmerzlinderung durch Entlastung und Sympathikusdämpfung
Befundbezogene Therapieplanung und – verlauf
1. Behandlungseinheit:
- Langsitz: Vegetativer Slump mit Mobilisation der 1. – 4. Rippe bds. (Separation CTG) zur Sympathikusdämpfung
- RL: Weichteil- und unspezifische Gelenkmobilisation in die freie Richtung HWS/CTÜ zur Tonus-
regulierung, Probezug HWS /CTÜ empfindet die Patientin als angenehm
intermittierende Traktion segmental C6/7, C5/6 und C2/3 zur Schmerzreduktion - Befundkontrolle: weniger Druck im Kopf, ziehender Schmerz bei Flexion weniger
- Passive segmentale Untersuchung des CTÜ im Sitz jetzt möglich:
C6/C7 und C7/Th 1: Flex/SN li./Rot li. eingeschränkt, Endgefühl fest - Mobilisation im Sitz: C6/C7 und C7/Th 1 Flex/SN li./Rot li. mit Anwendung von PIR
Bewegung anschließend aktiv weiter möglich, Stabilisation mit Kopfpattern in Flex/SN li/Rot li. - Eigenübung: RL mit Handtuchrolle: Blick in linke Achsel
2. Behandlungseinheit:
Deutliche Linderung der Schmerzen: jetzt VAS 4/10 sowie Verbesserung der Flexion/Linksrotation und Links-
seitneigung; Pat. ist nicht mehr schwitzig; der Schulterblick nach links hinten ist jetzt reduziert und schmerzhaft
links CTÜ und obere HWS.
Passive segmentale Untersuchung im Sitz:
CTÜ: Th2/3, Th3/4 in Ext eingeschränkt, JP Verlust, Endgefühl fest
kombinierte Bewegung in Ext/SN li/Rot li eingeschränkt
HWS: C2/3 in Ext eingeschränkt, JP Verlust, Endgefühl fest
kombinierte Bewegung in Ext/SN li/Rot li eingeschränkt
Costotransversalgelenke 1 und 3 links JP Verlust, Endgefühl fest, Patientin wird beim Test wieder schwitzig
Muskeltests in RL:
Verkürzung M. levator scapulae rechts, Schwäche der prävertebralen Halsmuskulatur
Funktionsbefund:
Th 2/3, Th 3/4 in Ext/SN li/Rot li. eingeschränkt
Verkürzung M. levator scapulae rechts, Schwäche prävertebrale Halsmuskulatur
C2/3 in Ext/SN li/Rot li eingeschränkt
Costotransversalgelenke 1 und 3: joint play Verlust
Aktuelle Arbeitshypothese:
Konvergenzstörungen links Th2/3, Th3/4 und C2/3
Vegetative Irritation durch JP Verlust der 1. und 3. Rippengelenke links
Elastizitätsverlust M. levator scapulae rechts, Schwäche der prävertebralen Halsmuskulatur
Therapieziel der Therapeutin: Verbesserung der Linksrotation HWS und CTÜ durch:
Beseitigen der Konvergenzstörungen links
Beheben der muskulären Dysbalance
Verbesserung der Beweglichkeit der 1. und 3. Rippe links Sympatikusdämpfung
Behandlung:
BL: Kombinierte Weichteil- und unspezifische Gelenkmobilisation CTÜ
RL: Weichteil- und unspezifische Gelenkmobilisation HWS
Hypomochliontechnik Th2/3, Th3/4 zur Mobilisation in Ext. und Rot.links
Mobilisation der Konvergenz C2/C3 links
Längsdehnung M. levator scapulae rechts
Autostabilisation mittlere HWS mit Sandsack (Kokontraktion der langen Nacken-
und der prävertebralen Halsmuskulatur)
Sitz:
Mobilisation der 1. und 3. Rippe links nach ventral (Separation Kostotransversalgelenk)
Befundkontrolle:
Verbesserung JP Th2/3, Th3/4 und C2/3 in Ext./SN li /Rot. li
aktive Rot links CTÜ und obere HWS verbessert
Eigenübung:
Sitz: Technik nach Arlen
Kutschersitz: Aufrichtung BWS, CTÜ und HWS, dann im Wechsel über die re/li Schulter gucken
3. Behandlungseinheit:
Pat. hat nur noch ein Verspannungsgefühl im Nacken VAS 3/10 bei der Kopfdrehung nach links,
links Rot ist nur noch leicht eingeschränkt
Befund:
Th 2/3, Th 3/4 in Ext./SN li/Rot li JP Verlust, Endgefühl fest
Exspirationsstörung der 3. Rippe links/Schlüsselrippe
Muskeltest:
Isometrischer Krafttest tiefe prävertebrale Muskeln: 10 sec.
Isometrischer Krafttest der HWS Flexoren: 14 sec.
Behandlung:
BL: Kombinierte Weichteil- und unspezifische Gelenkmobilisation CTÜ
RL: Mobilisation Th 2/3, Th 3/4 in Ext/Rot li mit Hypomochliontechnik
Verbesserung der Exspiration 3. Rippe links mit Greenman Technik, anschließend
Mobilisation der 1. Rippe links zur Verbesserung der Exspiration
Befundkontrolle:
Verbesserung JP Th 2/3, Th 3/4 in Ext/SN li/Rot li, Verbesserung JP 1. und 3. Rippengelenk
aktive Rot links schmerzfrei möglich, Rotation seitengleich
Eigenübung:
Wiederholung/Kontrolle Kutschersitz
Schrägsitz/Liegestuhl: Kräftigung prävertebrale Mm. 3 x 10 Wiederholungen á 6 -8 sec. halten
Weiterer Verlauf:
Die Patientin hat bei der 4. Behandlung nur noch geringe Beschwerden, die sie mit der Kutschersitz –
Übung positiv beeinflussen kann. Fortgesetzte Behandlung mit Intensivierung der Kräftigungsübungen
für die langen Nackenstrecker, die prävertebralen Muskeln und die Scapulafixatoren. Die Patientin ist an-
schließend beschwerdefrei. Um den Beschwerden am Arbeitsplatz vorzubeugen, wurden der Patientin
eine Stuhlerhöhung und eine Computerbrille empfohlen.
Legende/Liste für Symbolerklärung/Abkürzungen:
Pat. = Patientin
HWS = Halswirbelsäule
CTÜ = Zervikothorakaler Übergang
BWS = Brustwirbelsäule
SN = Seitneigung
Flex = Flexion
Ext = Extension
Rot = Rotation
li = links
re = rechts
JP = Joint play
BL = Bauchlage
RL = Rückenlage
PIR = Postisometrische Relaxation
RAK = Reflektorisch algetische Krankheitszeichen