Fallbeispiel 4
Vorlage zu diesem Fallbericht ist die Dokumentation von Katrin Fröhlich, die uns freundlicherweise genehmigte, diese auf unsere Homepage zu stellen.
Ärztliche Diagnose/Verordnung
Rezept: LWS-Syndrom, 6x Fango & Krankengymnastik, 1-2x die Woche
Anamnese:
✗ Weiblich, 34 Jahre, Bürokauffrau (Teilzeit)
✗ Schmerzen seit 2 ½ Wochen in der unteren LWS und SIG rechts
✗ Auslöser: Ausmisten der Pferdebox
✗ Schmerzqualität: drückend/bohrend, ziehend
✗ VAS: 3/10 bei Ruhe (Sitzen), 4-5/10 unter Belastung
✗ Die Schmerzen nehmen vor allem bei sitzender (Arbeit) oder gebückter Tätigkeit (Haushalt, mit den Kindern
spielen) zu. Liegen auf der rechten Seite (ihre Lieblingsseite) ist unangenehm
✗ Wärme lindert den Schmerz, Patientin empfindet einen „angenehmen Schmerz“ wenn sie sich mit dem
Bauch über den Gymnastikball legt „als würde da was gedehnt werden“
✗ Ärztliche Diagnostik/Behandlung: MRT-Termin erst in einem Monat; wurde mit einem Tape versorgt
✗ Nebendiagnosen: Operierte Ellenbogenluxationsfraktur links (2007), POTS (posturales orthostatisches
Tachykardiesyndrom) im Alter von 22 Jahren diagnostiziert (durch regelmäßiges Training,
Medikamentengabe und autogenes Training gut im Griff)
✗ Medikamente: Ibuprofen 400 nach Bedarf, Fludrocortison aufgrund der Nebenerkrankung
✗ Hobbys: Kinder, Reiten, Lesen
✗ Verheiratet, 2 Kinder (7 und 4 Jahre (keine Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt))
Erste Hypothese:
✗ Funktionsstörung LWS und/oder Funktionsstörung SIG mit eventueller muskulärer Beteiligung
Untersuchung im Stand
Inspektion – statisch:
✗ Inspektion von dorsal und ventral:
- Innenrotation der Beine
- Seitneigung der WS nach rechts, v.a. im Bereich LWS und untere BWS
- Muskulatur rechts im Nackenbereich stärker ausgeprägt als links
- Bauchnabel nach rechts verzogen
✗ Inspektion von lateral:
- Abgeflachtes Fußlängsgewölbe beidseits
- Beide Knie in Hyperextension
- „Knickbildung“ lumbosakraler Übergang
- Obere BWS eher lordotisch eingestellt
✗ Konstitution: Leptosom
Inspektion – dynamisch:
✗ Bei der Ganganalyse fällt eine leicht verkürzte Standbeinphase auf der rechten Seite auf
✗ Hocke: Tiefe Hocke ↯++ und ↓↓↓
Palpation:
✗ Crista iliaca und Trochanter major auf gleicher Höhe
✗ SIPS rechts höher als links und weniger spürbar als links; SIPS rechts etwas druckdolent
✗ SIAS rechts tiefer als links
Screening:
✗ Hip-Drop: Bei Standbein links vermindert und schmerzhaft rechts der LWS
Weitere Tests im Stand:
✗ Vorlauf: Positiv rechts, ↯++ und ↓↓, Patientin macht eine Ausweichbewegung nach rechts
✗ Rücklauf: Bei Standbein links sinkt rechte SIPS weniger tief als linke SIPS bei Standbein rechts in der
Endphase (denke an Blockierung SIG rechts oder Hypertonus M.quadratus lumborum und M.erector spinae
rechts)
✗ Finger-Boden-Abstand: 42cm (schmerzfrei möglich)
Erhärtung der Hypothese:
✗ Divergenzstörung LWS rechts oder Konvergenzstörung links, Ilium anterior rechts oder Ilium posterior links,
muskuläre Beteiligung
Untersuchung im Sitz
Inspektion:
✗ Gewicht der Patientin scheint mehr auf die linke Gesäßhälfte verlagert zu sein. Außerdem stützt sie sich mit
ihrer linken Hand an der Behandlungsbank ab
✗ LWS in Extension und Latflex nach rechts eingestellt
Aktive Bewegungsüberprüfung:
(Ich habe mich entschieden die Bewegungsüberprüfung im Sitzen zu machen, weil der Patientin das Sitzen mehr Probleme macht als das Stehen und langes ruhiges Stehen zur Synkope führen kann)
✗ Flexion: ↯++ und ↓↓, Ausweichbewegung nach rechts
✗ Extension: unauffällig
✗ Latflex: Untere LWS ↯+ bei Latflex nach links
✗ Rotation: unauffällig
✗ Kombinierte Bewegungen:
- Flexion, Latflex links + Rotation links: ↯+++ und ↓↓↓
- Flexion, Latflex rechts + Rotation rechts: ↯++ und ↓↓
- Extension, Latflex links + Rotation rechts: ↯+
- Extension, Latflex rechts+ Rotation links: unauffällig
Weitere Tests im Sitz:
✗ Seated-flexion-Test: Weniger deutlich als im Stehen (denke an Blockierung rechts, Hypertonus M.erector
spinae oder M.quadratus lumborum rechts oder Ischios links)
Untersuchung in Seitlage
Passive segmental-spezifische Untersuchung:
✗ Flexion: Joint-play L5/S1 ↓↓ und ↯+, EG ist fest-elastisch, nach PIR ist das EG fest
✗ Extension: unauffällig
✗ Latflex: Joint-play L5-S1 ↓ und ↯+ bei Latflex links, EG ist fest-elastisch, nach PIR ist das EG fest
✗ Rotation: unauffällig
✗ Kombinierte Bewegungen (nach Prüfung der gekoppelten Bewegung):
- Extension, Latflex links, Rotation rechts: Joint-play ↓ und ↯+, EG ist fest-elastisch nach PIR fest
- Extension, Latflex rechts, Rotation links: unauffällig
Weitere Tests in Seitlage:
✗ Klafftest nach Mennell: Joint-play rechts ↓
Untersuchung in Bauchlage (mit Kissen unterlagert)
Reflektorisch-algetische Krankheitszeichen (RAK's):
✗ Kibler-Hautfalte: verminderte Verschieblichkeit und derbe Konsistenz im Bereich LWS beidseits, Abrollen ist
mit Schmerz verbunden re>li
✗ Haut ist feucht und erwärmt im Bereich LWS
✗ Druckdolente Tonuserhöhung M.erector spinae re > li, M.quadratus lumborum rechts
Provokation:
✗ Federtest: L5 druckdolent + Abwehrspannung
✗ Springing: L5/S1 ↯+ und ↓↓
Weitere Tests in Bauchlage:
✗ Hebe(Schüttel)-Test: Joint-play rechts ↓↓ und ↯+
Untersuchung in Rückenlage
Palpation:
✗ SIAS: Rechte SIAS scheint im Raum weiter vorne zu stehen
✗ M.iliopsoas: M.psoas major ↯++ re > li, M.iliacus ↯+ re > li
Provokation:
✗ Patrick-Kubis-Test: ↯+ und ↓↓ rechts (denke an ISG oder M.adductor longus rechts), EG ist fest-elastisch,
nach PIR ist ein Weggewinn zu vermerken und EG ist jetzt eher hart-elastisch
Verkürzungstests:
✗ M.adductor longus: Rechts ↓, EG ist fest-elastisch, nach PIR ein kleiner Weggewinn, allerdings nehmen
Schmerzen im Bereich SIG zu (denke, dass die Einschränkung auf SIG-Problematik zurückzuführen ist)
✗ M.iliopsoas: Deutliches Ziehen auf der rechten Seite, EG fest-elastisch, nach PIR etwas besser +
Weggewinn
Funktionsbefund und Arbeitshypothese:
Funktionsbefund:
✗ Schmerzhafte Hypomobilität L5/S1 in Flexion und Latflex links
✗ Verringertes Joint-play SIG rechts
✗ Druckdolente Tonuserhöhung M.erector spinae und M.quadratus lumborum re > li,
M.iliopsoas re > li
Arbeitshypothese:
✗ Divergenzstörung L5/S1 mit muskulärer Beteiligung vom M.quadratus lumborum, M.erector spinae und
M.iliopsoas rechts
✗ Ilium anterior rechts (vielleicht sekundär durch den Hypertonus?)
Patienten- und Therapeutenziele:
Patientenziele:
✗ Schmerzfrei auf der rechten Seite liegen und sitzen können
✗ Eigenübungen zur Stabilisation und Kräftigung der Rumpfmuskulatur
Therapeutenziele:
✗ Normmobilität L5/S1 in Divergenz, damit Patientin schmerzfrei sitzen und den Haushalt führen kann
✗ Mobilisation vom rechten Ilium nach posterior
✗ Tonusregulation, v.a. vom M.quadratus lumborum, M.erector spinae und M.iliopsoas
✗ Erstellen eines Eigenübungsprogrammes mit dem Ziel der Stabilisation und Kräftigung der
Rumpfmuskulatur, sowie Dehnung der „verkürzten“ Muskulatur
Therapieplanung:
1. Behandlung:
- Unspezifische Weichteiltechnik mit leichter Gelenkbeteiligung in Seitlage links ohne Unterlagerung
- Traktion (Stufe 1-2 intermittierend) in aktueller Ruhestellung longitudinal in Seitlage links + PIR
- Segmentale Mobilisation von L5/S1 (Stufe 2-3) der Flexion bilateral („Osteopathentwist“) in Seitlage links in Behandlungsstellung
- Stabilisation über Kokontraktion der tiefen Bauch- und Rückenmuskulatur durch Zug nach kaudal
- Eigenübungen: Automobilisation der Flexion über eine Tischkante mit abgelegten Füßen, Tuberrollen im Sitz auch mit seitlichem Anheben der Beckenschaufeln („Rocking pelvis“) im Sinne der exzentrischen Verlängerung der lumbalen Extensoren
- Re-Test am Ende der Behandlung: Finger-Boden-Abstand: 39cm (schmerzfrei möglich)
2. Behandlung:
✗ VAS: 2 bei Ruhe, 3 bei Belastung
- Längsdehnung M.iliopsoas in Seitlage links + PIR
- Mobilisation rechtes Ilium nach posterior in Seitlage links, auch mittels Muskel-Energie-Technik
- Eigenübung: Thomas'sche Handgriff, Dehnung M.iliopsoas im Prinzenstand
- Erneuter Vorlauftest im Stand: negativ und nahezu schmerzfrei
- Re-Test Finger-Boden-Abstand: 34cm (schmerzfrei möglich)
3. Behandlung:
✗ Patientin berichtet, dass sie wieder schmerzfrei auf der rechten Seite liegen kann
✗ Aktive Bewegungsüberprüfung im Sitz: Flexion ↯+ und ↓, Latflex links nahezu schmerzfrei
- Patientin fühlt sich heute gestresst und berichtet, sie hatte heute morgen eine Synkope, deswegen Hypomochliontechnik in Rückenlage zur Sympathikusdämpfung und Einstieg
- Weichteiltechnik mit Gelenkmobilisation und Vordehnung durch Unterlagerung mit Sandsack in Seitlage
- Segmentale Mobilisation durch Klaffen (Stufe 2-3) in Seitlage links + PIR
- Bahnung der Divergenz über Beckenpattern in anteriore Depression der rechten Seite in Seitlage links, auch im Hinblick der exzentrischen Verlängerung der lumbalen Extensoren (Alternative: Anteriore Elevation der linken Seite in Seitlage rechts)
- Eigenübung: Punkt 4!
4.-6. Behandlung:
- Weichteiltechniken: Druckpunktinhibition, Quer- und Längsdehnungen, Quer- und Funktionsmassage, Muskel-Energie-Technik (Reziproke Hemmung, PIR)
- Mobilisation entsprechend dem Befund in Stufe 2-3 in Behandlungsstellung
- Stabilisation bzw. ADL-Schulung
- Kontrolle der Eigenübungen + Erweiterung des Eigenübungsprogrammes, z.B. PNF im Sitz über Arme in Flexion, Latflex links, Rotation links mit Theraband, Beckenpattern im 4-Füßlerstand, Aktivierung der Bauch- und Rückenmuskulatur am Schreibtisch durch Druck und Zug über die Arme am Tisch, …
✗ Re-Befund:
- Finger-Boden-Abstand: 9cm (schmerzfrei möglich; Patientin ist mit dem Ergebnis zufrieden)
- Joint-play L5/S1 in Seitlage für Flexion und Latflex links normobil und schmerzfrei
- Joint-play SIG in Bauchlage über Hebe(Schüttel)-Test getestet normobil
Legende:
Li: Links
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